Das Wort des Präsidenten
Geschätzte Kameradinnen und Kameraden, liebe Freunde der OG Biel-Seeland
Très chères et chers camarades, chers amis de la SO Bienne-Seeland
Das Parlament spricht sich für eine Erhöhung des Armeebudgets aus, der Bundesrat und diebürgerlichen Parteien setzen sich für eine rasche Beschaffung des neuen Kampflugzeuges ein und SRF vermittelt im Radio den Sinn eines Notvorrates. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, wo wir als Offiziere, die wir immer auch mit der gefährlichsten aller Möglichkeiten rechnen, im sicherheitspolitischen Diskurs belächelt und als Schwarzmaler abgetan werden. Doch erleben wir hier tatsächlich eine Zeitenwende, in der wir uns wieder ernsthaft und vorausschauend mit existenzbedrohenden Risiken für uns als Schweizer Bevölkerung auseinandersetzen? Bei genauerem Hinschauen drängt sich mir ein anderer Eindruck auf.
Noch immer beobachte ich in meinem Umfeld allzu häufig den psychologischen Abwehrmechanismus der Verdrängung, wenn die Menschen mit Krisenszenarien konfrontiert werden. Eine verständliche, aber kurzsichtige Reaktion. Denn so werden wir im Ernstfall dem Unheil nichts entgegenhalten können. Es ist nicht nur der Krieg in der Ukraine, welcher die Stabilität und somit den Frieden auf unserem Kontinent bedroht. Die rasant steigende Ernährungskrise in Afrika wird weitere Flüchtlingsströme nach sich ziehen. Durch die kurzsichtige Energiepolitik in Europa sind wir akut von Strommangellagen und sogar Blackouts bedroht. Und zu all den anderen Krisenherden, welche sonst noch vor sich hin schwelen, kommt noch der Machtkampf im Pazifik zwischen den USA und China hinzu, welcher bei einer Eskalation das Potential hat, den bereits angeschlagenen, globalisierten Welthandel endgültig zum Kollabieren zu bringen.
Die Zeichen stehen auf Sturm und das Warnlicht am Horizont dreht immer schneller. Können wir den Sturm verhindern, wenn er denn kommt? Wahrscheinlich nicht, aber wir können bereit sein, um ihn zu überstehen.
Das bedingt unter anderem, dass auch der hinterste und letzte Staatsdiener aus seiner wohligen Letargie erwacht, den Ernst der Lage erkennt und seine Verantwortung wahrnimmt. Dass dem noch nicht so ist, hat mir der Moment gezeigt, als ich mich aus einer Laune heraus mit dem Zustand des Schutzraumes meiner Eltern auseinandergesetzt habe. Ich stellte fest, dass das Amt für Bevölkerungsschutz, Sport & Militär des Kantons Bern zwar ordnungsgemäss im Herbst 2020 in der Gemeinde Port Schutzraumkontrollen hat durchführen lassen. Doch die durch eine externe Firma erstellten Berichte über die identifizierten Mängel fristeten ihr Dasein diesen Frühling noch immer irgendwo in einem Büro in Bern. Erst kurz nach meiner Nachfrage wurden die Berichte mit den teils kritischen Mängeln an die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Port verschickt, so dass diese eine Spezialfirma mit der Instandstellung beauftragen konnten. Dass sowas eineinhalb Jahre dauert, ist für mich nicht nachvollziehbar. Und auch wenn ich nicht hoffe, dass wir in naher Zukunft die Schutzräume beziehen müssen, so bin ich doch sicher, dass wir im Fall eines entsprechenden Ereignisses nicht mehr genügend Zeit haben werden, um defekte Lüftungen ersetzen zu lassen.
Doch es geht bei weitem nicht nur um diese Trödelei. Die abwehrende Haltung, welche mir in diesem Fall von den Verantwortlichen entgegenschwappte, ist für mich sinnbildlich dafür, was beim staatlichen Risikomanagement falsch läuft. Mit Risiken geringer Wahrscheinlichkeit jedoch hohem Schadenausmass will man sich nur ungern befassen und erst recht nicht die Bevölkerung damit konfrontieren – das ist unpopulär und führt zu unangenehmen Fragen. Die Folge daraus wird fehlendes Vertrauen in die Fähigkeiten des Staates sein, wenn der Moment gekommen ist, wo die Realität der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein Schnippchen schlägt - Vertrauen, welches essenziell ist, wenn man Menschen erfolgreich durch eine Krise führen will.
Um ein solches Vertrauen zu schaffen braucht es Aufklärung, Demonstrationen der Fähigkeiten und den Einbezug der Bevölkerung. Anstelle eines prominent platzierten Hinweises auf der Webseite des Amtes, dass man eine kriegerische Auseinandersetzung auf Schweizer Boden für unwahrscheinlich erachte und man deshalb das Erstellen der Zuweisungspläne nicht in Auftrag gibt, wünschte ich mir öffentlichkeitswirksame Zivilschutzübungen, Tage der offenen Türen bei Zivilschutzanlagen und weitere Massnahmen, welche der Bevölkerung vermitteln, dass man für den Fall der Fälle bereit ist.
Ein meines Erachtens gelungenes Beispiel an Aufklärung stellt die SRF Radiosendung „Input“ vom 25. April 2022 dar. In der Sendung wurden die Zuhörer darüber informiert, wie die wirtschaftliche Landesversorgung im Krisenfall organisiert ist, dass das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung für jeden Haushalt einen Notvorrat an Lebensmitteln und Medikamenten für eine Woche empfiehlt und mit wie wenig Aufwand und Zusatzkosten man einen solchen Vorrat sicherstellen kann. Doch ein einzelner Beitrag ist nicht genug. Es braucht wesentlich mehr, damit die Botschaften die Bevölkerung durchdringen.
Manche mögen diesen Text für Panikmacherei halten. Es geht mir aber genau um das Gegenteil: Die Panik soll im Krisenfall vermieden werden. Lieber die Menschen fühlen sich heute etwas unwohler, weil sie sich mit beängstigenden Themen auseinandersetzen müssen, als dass sie sich bei einem längeren Stromausfall gegenseitig niedertrampeln, während sie auf den letzten Drücker versuchen Vorräte zu horten. Um im Ereignisfall das Chaos zu vermeiden, müssen wir alle die Ruhe bewahren und dem Staat ein Mindestmass an Zeit einräumen, um sich auf die Krise einstellen zu können. Aber das kann nur jemand, der das Nötigste zu Hause hat und über ein gewisses Grundvertrauen in das staatliche Risiko- und Krisenmanagement verfügt.
Das Schaffen dieser Voraussetzungen geht uns als verantwortungsbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger alle an. Und deshalb lasst uns weiterhin im Dienst, aber auch in unserem zivilen Umfeld unseren Beitrag dazu leisten. Informieren wir uns über sicherheitsrelevante Themen, welche über die Verteidigung hinausgehen.
Kameradschaftliche Grüsse – salutations cordiales
Maj Yves Nussbaum
Président SO Bienne-Seeland